Leserbriefe |
Samstag, 18.04.2009 | Drucken |
Leserbriefe
Rachid Boutayeb schrieb:
Im Historismus gefangen
In seinem letzten Buch Sunnah wa al-islah setzt der renommierte arabische Denker Abdellah Laroui seine Kritik an den traditionellen Kräften in der arabischen Welt fort. Laroui übt eine kompromisslose und radikale Kritik an der Sunnitischen Orthodoxie, die er als Hindernis der Moderne darstellt. Das moderne arabische Denken lässt sich in drei Begriffen zusammenfassen: Das Identitätsdenken, der Historizismus bzw. der Marxismus und das Denken der Differenz.
Das Identitätsdenken propagiert eine starre und geschlossene Identitätsvorstellung und ist in der nationalistischen und islamistischen Literatur zu finden. Die Identität ist in diesem Kontext das Gewesene, das man neu zu beleben hat, in dem man ihm die Treue entgegenbringt, wie dies Al-Jabiri in seinen Zehn Thesen über die Globalisierung ausgedrückt hat. Das Denken der Differenz hingegen, dem man ausschließlich in dem Personalismus eines Lahbabi und im Dekonstruktivismus eines Khatibi begegnet, ist ein "Denken in Sprachen", ein Plurales Denken, das sich in einer "doppelten Kritik" ausdrückt, nämlich der Kritik der Identität einerseits und dem westlichen "Willen zur Macht" andererseits.
Der Historizismus, der von der Idee des Fortschritts durchdrungen ist, zeigt sich im Gegensatz zum Identitätsdenken, als ein Denken in und mit der Geschichte, aber wiederum ein Denken, das Khatibi zufolge die Geschichte in einer subjektlosen Logik reduziert und ihrer Mehrstimmigkeit beraubt.
Abdellah Laroui, an den Khatibi seine Kritik in Maghreb pluriel an vorderster Stelle richtet, ist die zentrale Figur des Historizismus im arabischen Kontext und der radikalste Kritiker des traditionellen und liberalen Denkens in der arabischen Kultur. In seinem neuesten Buch Sunnah wa al-islah (Tradition und Reform) verteidigt dieser den Historizismus in einer quasi-religiösen Sprache.
Der Historizismus ist ihm zufolge das sich Identifizieren mit der Geschichte.
Man hat in diesem Fall mit einem Glauben an ein unverrückbares Gesetz der Geschichte zu tun, oder mit einer Weltanschauung, die, beruhend auf der Idee des Fortschritts, eine Art geschichtlichen Darwinismus beinhaltet, wo das Neue das Alte überwindet und als tot erklärt. Man soll in diesem Kontext den Vergleich Engels zwischen Marx und Darwin im Auge behalten. Der erste hat Engels zufolge das Gesetz der menschlichen Geschichte entdeckt, während der zweite das der Biologie. Aber der Historizist sieht nur seine Gesetze in der Geschichte.
Wie Karl Popper das ausgedrückt hat, sieht der Historizist nicht, dass wir es sind, die die Tatsachen der Geschichte auswählen und ordnen, sondern glaubt, dass die Geschichte selbst oder die "Geschichte der Menschheit" durch ihre inhärenten Gesetze uns, unsere Probleme, unsere Zukunft und sogar unseren Standpunkt bestimmt.
Man geht in diesem Sinne von einer monolithischen Interpretation der Geschichte aus, die jede Form der Differenz ausschließt. Überwindung oder Modernisierung der Theologie? Laroui plädiert für eine Überwindung der "traditionellen" und "falschen" Formen des Denkens, nämlich der Mythologie, Theologie und Philosophie. Er vertritt eine positivistische Haltung gegenüber der Philosophie, die die aufgeklärte Rolle der Philosophie nicht in Acht nimmt.
Die Philosophie, die sich in den letzten Jahrzehnten vom Konzept zur Hermeneutik und Differenz entwickelt hat, habe sich damit von jeder Form des Ismus oder der großen Erzählungen verabschiedet, wie eben auch des Historizismus. Ganz seinem Historizismus folgend, greift Laroui die Theologie an, die ihm zufolge nur das Vergängliche vergegenwärtige und die Tradition rehabilitiere. Sie sei eine nachahmende und keine emanzipierte Disziplin.
Damit übersieht Laroui die große Veränderung, welche die Theologie im Laufe ihrer Geschichte erlebt hat. Das mittelalterliche Christentum, das jegliches Andersdenken verteufelte, ist nicht zu vergleichen mit dem heutigen Christentum, das bewusst zum Dialog mit den anderen religiösen Auffassungen auffordert, wie Benedikt XVI. das in seinem Dialog mit Habermas hervorhebt.
Das Christentum hat eine lange Geschichte der Säkularisierung und der Selbstkritik erfahren, diese Entwicklung hat innerhalb des Islam in dieser Form nicht stattgefunden, aber auch der Islam hat verschiedene theologische Schulen und Interpretationen hervorgebracht, so dass man heute, wie Arkoun erkannt hat, von verschiedenen Islamvarianten und nicht nur von "einem Islam" ausgehen sollte. Larouis Forderung, die Politik von der Theologie zu befreien, erscheint vor diesem Hintergrund unangemessen.
Zudem erlebt man in der heutigen arabischen Welt in weit stärkerem Maße die politische Beeinflussung der Theologie, denn in den meisten Fällen sind es die Diktatoren, welche die Religion missbrauchen und instrumentalisieren und weit weniger umgekehrt die Religionsgelehrten die Politik. In seiner Kritik der Theologie ist Laroui seinem vulgären Marxismus treu geblieben.
Sein verblendeter Historizismus konnte den Reichtum der islamischen Theologie nicht wahrnehmen, weil er jede Form der Theologie von vornherein als "rückschrittlich" herabwürdigt.
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Hintergrund/Debatte
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